Lagerbedingungen und Krankheiten

Kriegsgefangene im Lager Rheinberg gruben sich als Schutz vor den Witterungen Löcher in die Erde. Fotografie der US-Armee, 3. März 1945. Quelle: National Archives Washington, DC.

Kriegs­ge­fan­ge­ne im Lager Rhein­berg gru­ben sich als Schutz vor den Wit­te­run­gen Löcher in die Erde. Foto­gra­fie der US-Armee, 3. Mai 1945. Quel­le: Natio­nal Archi­ves Washing­ton, DC, III-SC-206200.

Bereits unmit­tel­bar nach der Gefan­gen­nah­me konn­te man die deut­schen Sol­da­ten in den Sam­mel­la­gern hin­ter der Front wegen der andau­ern­den Kriegs­hand­lun­gen nur mit Mühe unter­brin­gen. So kamen die Gefan­ge­nen oft bereits von Hun­ger und Käl­te geschwächt auf LKW oder spä­ter in Zügen in den Rhein­wie­sen­la­gern an. Dort muss­ten sie meis­tens, wenn dies nicht vor­her gesche­hen war, ihre Besitz­tü­mer abge­ben. Dies galt auch für die mili­tä­ri­sche Aus­rüs­tung, für Zel­te, Decken, Wech­sel­klei­dung oder Nah­rungs­mit­tel. Die ankom­men­den Gefan­ge­nen im Lager waren scho­ckiert über die Zustän­de. Es hat­te sich her­um­ge­spro­chen, dass Kriegs­ge­fan­ge­ne, die zuvor in den USA, Kana­da und Groß­bri­tan­ni­en inter­niert wor­den waren, ihren Fami­li­en in Feld­post­brie­fen von der guten Behand­lung dort berich­tet hat­ten. In Ver­ken­nung der Gege­ben­hei­ten vor und bei Kriegs­en­de erwar­te­ten die­se nun auch, in der ame­ri­ka­ni­schen Kriegs­ge­fan­gen­schaft in Deutsch­land gut ver­sorgt zu werden.

In der ersten Zeit gab es kein fließendes Wasser in den Kriegsgefangenenlagern. Die Gefangenen in Büderich nutzten einen schmalen Bach, um sich darin zu waschen und zu rasieren. Fotografie der US-Armee aus dem Lager Büderich, 3. März 1945. Quelle: National Archives Washington, DC.

In der ers­ten Zeit gab es kein flie­ßen­des Was­ser in den Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­gern. Die Gefan­ge­nen in Büde­rich nutz­ten einen schma­len Bach, um sich dar­in zu waschen und zu rasie­ren. Foto­gra­fie der US-Armee aus dem Lager Büde­rich, 3. Mai 1945. Quel­le: Natio­nal Archi­ves Washing­ton, DC, II-SC-206201.

In man­chen Rhein­wie­sen­la­gern gab es zwar Bara­cken für Kran­ke, weib­li­che Gefan­ge­ne und höhe­re Mili­tär­rän­ge, doch die meis­ten Kriegs­ge­fan­ge­nen muss­ten der Wit­te­rung aus­ge­setzt unter frei­em Him­mel cam­pie­ren. Sie ver­such­ten, sich not­dürf­tig gegen Regen, Son­ne und nächt­li­che Käl­te zu schüt­zen: Sie teil­ten sich die weni­gen Decken und Män­tel, nutz­ten Pap­pe oder Holz­bret­ter, wenn sie die­se orga­ni­sie­ren konn­ten, als Unter­la­ge und vie­le von ihnen gru­ben sich ver­bo­te­ner­wei­se Erd­lö­cher. Doch die vor­han­de­nen Decken reich­ten nicht für alle und waren zudem schnell vom Dreck und Regen durch­weicht. In vie­len Berich­ten von ehe­ma­li­gen Kriegs­ge­fan­ge­nen heißt es, dass der Regen die Lager in ‚Schlamm­wüs­ten‘ ver­wan­delt habe. Die­se Bedin­gun­gen und das Feh­len von Toi­let­ten und Abwas­ser­ka­nä­len – man konn­te in den ers­ten Mona­ten ledig­lich Fäka­li­en­gru­ben im Frei­en aus­he­ben – för­der­ten die Ver­brei­tung von Krank­hei­ten und im reg­ne­risch-küh­len April 1945 auch von Erfrie­run­gen. Beson­ders Infek­ti­ons­krank­hei­ten wie die Ruhr mit den typi­schen Durch­fäl­len wur­den für die Kran­ken zur Qual, weil es kei­ne oder nur völ­lig unzu­rei­chen­de hygie­ni­sche Ein­rich­tun­gen und Wasch­mög­lich­kei­ten gab. Häu­fig kam es zu Lun­gen­ent­zün­dun­gen, Hun­ge­röde­men, Glie­der­schwel­lun­gen und extre­men Schwä­che­an­fäl­len. Gleich­zei­tig konn­te kei­ne umfas­sen­de medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung der durch den Krieg kör­per­lich und see­lisch geschwäch­ten Sol­da­ten gewähr­leis­tet wer­den, obgleich es in den Lagern not­dürf­tig ein­ge­rich­te­te Laza­ret­te gab. Beson­ders schwer Erkrank­te wur­den in Ein­zel­fäl­len auch in ame­ri­ka­ni­schen und deut­schen Kran­ken­häu­sern außer­halb des Lagers behan­delt. Die Gefan­ge­nen wur­den mit dem damals übli­chen Insek­ti­zid DDT ent­laust und gegen Typhus und Ruhr geimpft, um die wei­te­re Ver­brei­tung von Seu­chen und Krank­hei­ten zu verhindern.

Neben den kör­per­li­chen Fol­gen der Haft war für vie­le Gefan­ge­ne die see­li­sche Belas­tung beson­ders schwer zu ertra­gen: Sie lit­ten wegen der Enge unter Ängs­ten, Depres­sio­nen und Lager­kol­lern, ver­fie­len Wahn­vor­stel­lun­gen, ver­zwei­fel­ten, wur­den apa­thisch oder aggres­siv. Die meis­ten sahen sich nun als Opfer des Krie­ges. Nach ihrer Vor­stel­lung hat­ten sie ledig­lich ihre Pflicht getan und waren Befeh­len gefolgt, wohin­ge­gen sie im Lager kol­lek­tiv wie Täter behan­delt wur­den. Dass Ein­hei­ten der Wehr­macht ande­re Län­der bru­tal unter­wor­fen und deren Aus­beu­tung ermög­licht hat­ten, blen­de­ten sie zumeist aus. Die Gefan­ge­nen – so wird aus ihren Berich­ten deut­lich – fühl­ten sich hilf­los dem Schick­sal und den ame­ri­ka­ni­schen Bewa­chern aus­ge­lie­fert, da ihnen jeg­li­ches Han­deln unmög­lich gemacht wur­de. Beson­ders die unge­wis­se Zukunft setz­te den Män­nern zu, da nie­mals klar war, ob und wann sie ent­las­sen wer­den und ob sie Repa­ra­ti­ons­ar­bei­ten in Bel­gi­en, Frank­reich oder anders­wo leis­ten müs­sen. Gleich­zei­tig rea­li­sier­ten die Gefan­ge­nen, dass alles zer­stört war, was ihr Leben zuvor bestimmt hat­te. Auch plag­te sie die Sor­ge um ihre Fami­li­en, deren Schick­sal sie nicht kann­ten und wegen der Post­sper­re bis Juni 1945 auch nicht klä­ren konn­ten. Selbst über die­sen Zeit­punkt hin­aus konn­ten vie­le der Brie­fe nicht zuge­stellt wer­den, da das Post­we­sen in Deutsch­land noch nicht wie­der funk­tio­nier­te oder die Gefan­ge­nen nicht wuss­ten, wo ihre Fami­li­en nach der Flucht aus den Ost­ge­bie­ten oder aus bom­bar­dier­ten Städ­ten leb­ten. Um der bedrü­cken­den Situa­ti­on zu ent­kom­men, kam es ver­ein­zelt zu Flucht­ver­su­chen. Die­se ende­ten zumeist töd­lich, da die US-Armee den Befehl hat­te, Flüch­ti­ge zu erschie­ßen. Eini­ge Gefan­ge­ne begin­gen auch Selbstmord.