Das Lager Dietersheim (PWTE A8)
Offizielle Bezeichnung: Prisoner of War Temporary Enclosure A8
Geplante Kapazität: 100.000
Existenzdauer: Ende April 1945 bis August/September 1945

Im Nahetal errichteten die US-amerikanischen Truppen in unmittelbarer Nähe mehrere Kriegsgefangenenlager in Bad Kreuznach (PWTE A3), Bretzenheim (PWTE A6), Biebelsheim (PWTE A7) und in Dietersheim (PWTE A8). Quelle: Vermessungs- und Katasteramt Rheinland-Pfalz in Zusammenarbeit mit dem Dokumentationszentrum Bretzenheim.
Aufbau und Struktur des Lagers
Ende April 1945, der Krieg war zu diesem Zeitpunkt bereits offiziell beendet und die Ortschaft Dietersheim war seit Ende März befreit, errichteten US-amerikanische Truppen östlich von Dietersheim ein Kriegsgefangenenlager. Dieses grenzte mit seinen 500 Hektar an die Ortschaften Sponsheim und Grolsheim; die Nahe stellte eine weitere natürliche Grenze dar. Unter Aufsicht amerikanischer Bewacher umzäunten deutsche Kriegsgefangene auf den Feldern insgesamt 25 ‚Cages‘ mit Stacheldraht. Das Lager sollte Platz für 100.000 Gefangene bieten, wobei es spezielle Lagerbereiche für SS-Männer sowie für Jugendliche und Alte gab.
Lebensbedingungen
Anfang Mai 1945 kamen die ersten Kriegsgefangenen in Dietersheim an. Amerikanische Quellen, auf die sich die Maschke-Kommission in den 1970er Jahren bei ihren Forschungen bezog, vermerken für den 8. Mai 1945 ca. 2.000 Gefangene. Das Lager befand sich also noch im Aufbau. Doch es füllte sich rasch und Mitte Mai waren bereits ca. 85.000 Gefangene
interniert. Im Juni 1945 fanden zudem aus den umliegenden Kriegsgefangenenlagern, die bereits aufgelöst worden waren, Verlegungen nach Dietersheim statt. Im August wurden deutsche Kriegsgefangene aus Norwegen nach Dietersheim gebracht; auch Ungarn und Rumänen, die auf deutscher Seite gekämpft hatten, fanden sich unter den Dietersheimer Gefangenen. Bis zu 100.000 Kriegsgefangene sollen im Lager als Höchstbelegung untergebracht gewesen sein.
Wie in anderen Rheinwiesenlagern auch mussten die Gefangenen in der Anfangszeit unter katastrophalen Bedingungen leben: Sie mussten unter freiem Himmel campieren und als einzigen Schutz vor dem Wetter versuchten sie, sich Erdlöcher zu graben. Die unregelmäßig ausgegebenen Lebensmittelrationen reichten nicht aus und so litten sie Hunger. In den ersten Tagen konnten überhaupt keine Lebensmittel ausgegeben werden; erst am 18. Mai soll das erste Mal Brot verteilt worden sein. Dieses wurde teilweise in einer behelfsmäßigen Lager-Bäckerei gebacken. Als Trinkwasser erhielten die Gefangenen Flusswasser aus der Nahe, das zuvor gechlort und über eine Rohrleitung in das Lager geleitet worden war. Mit der Zeit verbesserte sich die Ausstattung des Lagers, die Gefangenen erhielten Zeltplanen und es wurde eine Lagerküche eingerichtet. Die Gefangenen mussten nun nicht mehr ihre ausgegebenen Rationen selbst zubereiten oder erwärmen, was eine erhebliche Erleichterung war, da es im Lager keine Heizstellen oder Öfen gab.
Nach der Übernahme des Lagers durch das französische Militär kam es im Juli 1945 zunächst zu einer Verschlechterung der Versorgung. Die Situation wurde schließlich auch durch Spenden aus der Bevölkerung verbessert: Der Dietersheimer Pfarrer Franz Como rief von der Kanzel zu Lebensmittelspenden auf. Er trat auch in Kontakt mit führenden kirchlichen und caritativen Einrichtungen und verfasste eine Predigt, die an vielen anderen Orten die Menschen zu Hilfsaktionen für die deutschen Kriegsgefangenen aufrief. Die Kirchengemeinde Dietersheim kümmerte sich auch – ebenso wie der Bürgermeister – um die große Zahl an Menschen, die in den Ort kamen, um zu versuchen, mit ihren Familienangehörigen im Lager Kontakt aufzunehmen. Ebenfalls versteckte man in den Dörfern Geflohene aus dem Kriegsgefangenenlager. Generell scheint die Hilfsbereitschaft der umliegenden Bevölkerung sehr hoch gewesen zu sein und immer wieder kam es zu Kontakten zwischen ihnen und den Kriegsgefangenen, bei denen Briefe und Lebensmittel ausgetauscht wurden. Vor allem in der Zeit der französischen Lagerleitung wurde auf Geheiß des französischen Kommandanten Schuster den Gemeinden gestattet, Lebensmittel zu sammeln und in das Lager zu bringen; die amerikanische Militärregierung hatte diese Spenden im Mai 1945 noch offiziell verboten. Der spätere Lagerkommandant Julien organisierte zusammen mit der lokalen deutschen Verwaltung weitere Hilfsaktionen. Letztlich sollen Lebensmittelspenden aus ganz Rheinhessen die Kriegsgefangenen erreicht haben.
In Dietersheim wurden – wie in anderen Rheinwiesenlagern auch – sowohl katholische als auch evangelische Gottesdienste und Beichten abgehalten. Zwei kriegsgefangene Geistliche führten die Gottesdienste durch. Das benötigte Material, wie zum Beispiel Hostien und Abendmahlswein, erhielten sie aus den Beständen der Gemeinden in Dietersheim. Nach der Entlassung der beiden Geistlichen aus der Kriegsgefangenschaft übernahm der Dorfpfarrer von Dietersheim und Sponsheim, Franz Como, vorübergehend die Seelsorge im Lager. Bis zu sechs Gottesdienste hielt er täglich in den verschiedenen Lagerteilen. Als mit weiteren Transporten erneut Geistliche in das Lager gebracht wurden, wurden ihnen die seelsorgerischen Aufgaben übertragen.
Die Gefangenen versuchten auch im Kriegsgefangenenlager in Dietersheim, eine Struktur in ihren Alltag zu bringen. So gründeten einige von ihnen eine ‚Lager-Hochschule‘, wofür sie Bücher aus nahen Bibliotheken und Büchereien erhielten.
Die medizinische Versorgung der Kriegsgefangenen fand – soweit dies bei der Menge der Gefangenen und der schlechten Ausstattung gelang – im Lagerlazarett statt. Insgesamt 250 deutsche Ärzte und zahlreiches Pflegepersonal waren dort beschäftigt. Besonders schwere Fälle wurden außerhalb des Lagers, in einem großen amerikanischen Lazarett an der Straße Richtung Grolsheim behandelt. Dieses bestand aus 50 Großzelten. Nach der Übernahme des Lagers durch die französische Armee verbesserte sich die medizinische Versorgung erheblich durch die Einrichtung eines Lazaretts mit Operationsraum sowie einer Inneren und einer Chirurgischen Abteilung in der Dietersheimer Schule, wo speziell Schwerkranke behandelt werden konnten. Dort wurde auch eine Apotheke eingerichtet; nur an Betten fehlte es.
Trotz aller Bemühungen kam es zu Todesfällen im Lager. Genaue Angaben zur Sterblichkeit im Lager Dietersheim können – wie bei allen Rheinwiesenlagern – nicht gemacht werden. Die Stadtverwaltung von Bingen am Rhein verzeichnete 212 Lagertote aus der französischen Besatzungszeit, von denen 60 nichtdeutsche Soldaten, also ‚special nationals‘, waren. Die Toten des Lagers wurden auf Friedhöfen in Dietersheim, Bad Kreuznach, Stromberg und in Idstein im Taunus bestattet.
Auflösung des Lagers
Das Lager in Dietersheim wurde am 10. Juli 1945 von den amerikanischen Truppen an die Franzosen übergeben, da es in deren Besatzungszone lag. Der neue Kommandant des Lagers war zunächst der aus dem Elsass stammende französische Oberleutnant Schuster. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch ca. 33.600 Gefangene im Lager. Es hatten also bereits ab Ende Juni 1945 Entlassungen und Verlegungen in andere Lager stattgefunden. Unter französischer Leitung wurden die Entlassungen – vor allem von Kranken, Alten, Jugendlichen und Frauen – fortgesetzt. Mitte August erreichte Dietersheim schließlich der Befehl zur Auflösung des Lagers. Die Kriegsgefangenen wurden entweder entlassen, in andere Lager überstellt oder nach Frankreich zu Reparationsarbeiten gebracht. Von Dietersheim wurden viele von ihnen in die Lager nach Hechtsheim und Bretzenheim verlegt. Nach dem 31. August blieben nur noch wenige Gefangene für Aufräumarbeiten in Dietersheim zurück, die bis zum 24. September 1945 dauerten.
Erinnerung
Die Erinnerung an das Kriegsgefangenenlager in Dietersheim ist in der Gemeinde und der Umgebung seit Jahrzehnten präsent. Bereits zum 50.
Jahrestag der Auflösung des Lagers wurde im September 1995 im Dietersheimer Pfarrhaus eine erste Ausstellung über das Kriegsgefangenenlager gezeigt. Neben Bildern wurden auch Gegenstände aus dem Lager ausgestellt, welche die Lebensbedingungen der Kriegsgefangenen verdeutlichten. Im November 2005 wurde auf Anregung des Sponsheimer
Heimat- und Kulturpflegekreises an der Begrenzung des ehemaligen Lagergeländes eine Bronzetafel zum Gedenken an die Kriegsgefangenen eingeweiht. Zum 70. Jahrestag der Auflösung des Kriegsgefangenenlagers fand 2015 eine Gedenkmesse in der Kirche Dietersheim statt.
Heute erinnern auf dem Dietersheimer Friedhof um die alte Dorfkirche zudem Gräber von Verstorbenen an das Kriegsgefangenenlager. In der Kirche selbst befindet sich eine Gedenktafel für Pfarrer Como, der sich in der Unterstützung der Gefangenen stark engagierte.
Quellen
Bucher, Heinz: „Kriegsgefangenenlager in der Umgebung von Bingen“. In: Historische Gesellschaft Bingen e.V. (Hg.): Binger Geschichtsblätter 16. Bingen 1991, S. 5–43.
Como, Franz A.: „Das Kriegsgefangenenlager Dietersheim“. In: Carl-Brilmayer-Gesellschaft (Hg.): Der Dorfpfarrer Franz A. Como 1982–1968 (Beiträge zur Geschichte des Gau-Algesheimer Raumes 32). Gau Algesheim 1992, S. 101–110.
o.A.: „Dokumentation über Kriegsgefangenenlager“. In: Binger Wochenblatt, 31.8.1995, o.S.
Werner, Jochen: „Schild weist Weg in Historie“. In: Allgemeine Zeitung Bingen, 8.8.2015, o.S.