Heidesheim

Das Lager Heidesheim (PWTE A12)

Offizielle Bezeichnung: Prisoner of War Temporary Enclosure A12
Geplan­te Kapazität: 45.000
Existenzdauer: Anfang April bis 9. Juni 1945

Aufbau und Struktur des Lagers

Anfang April 1945, also zwei Wochen nach der Befrei­ung des Dor­fes durch ame­ri­ka­ni­sche Trup­pen, wur­de in unmit­tel­ba­rer Nähe zu der Ort­schaft Hei­des­heim das Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger A12 auf einer gro­ßen Frei­flä­che ent­lang des Rheins ein­ge­rich­tet. Ver­ant­wort­lich war hier – wie auch für alle ande­ren Rhein­wie­sen­la­ger – die 106. US-Infan­te­rie­di­vi­si­on und spe­zi­ell das 424. Regi­ment, das deut­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne für den Auf­bau ein­setz­te. Das Lager war begrenzt durch den Rhein im Nor­den, durch eine Eisen­bahn­li­nie im Süden und durch einen Hoch­was­ser­damm im Osten. Eini­ge Häu­ser in der Nähe des neu­ent­stan­de­nen Lagers wur­den auf ame­ri­ka­ni­schen Befehl hin geräumt. Den­noch lag das Lager so nah an der Ort­schaft, dass man dort die Geräu­sche der Gefan­ge­nen und die Durch­sa­gen durch die Laut­spre­cher hören konnte.

Hei­des­heim war ver­kehrs­tech­nisch gut ange­bun­den und ver­füg­te unter ande­rem über einen Güter­bahn­hof im Orts­teil Uhl­er­born, sodass die Gefan­ge­nen ver­gleichs­wei­se unkom­pli­ziert in das Lager gebracht wer­den konn­ten. Bewoh­ner Hei­des­heims erin­nern sich, dass in der Anfangs­zeit ab Mit­te April ‚stünd­lich‘ Gefan­ge­ne mit offe­nen LKW oder Zügen anka­men. Vom Bahn­hof aus ging es zu Fuß für die Gefan­ge­nen wei­ter in das Lager.

Die US-ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen hat­ten das Lager für 45.000 Gefan­ge­ne geplant, jedoch über­stieg die Zahl der Inter­nier­ten rasch alle Erwar­tun­gen. Ame­ri­ka­ni­sche Quel­len, auf die sich die Maschke-Kom­mis­si­on in den 1970er Jah­ren bei ihren For­schun­gen bezog, ver­mer­ken für den 8. Mai 1945 bereits ca. 65.500 Gefan­ge­ne. Neben die­sen hat­ten die ame­ri­ka­ni­schen Ver­ant­wort­li­chen auch ca. 100 ita­lie­ni­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne nach Hei­des­heim gebracht. Aller­dings wur­den die­se nicht mit den deut­schen Sol­da­ten ent­lang des Rheins unter­ge­bracht, son­dern leb­ten in Not­zel­ten 500 Meter außer­halb des Lagers. In der Anfangs­zeit war das Lager noch nicht fer­tig errich­tet, sodass gleich­zei­tig Neu­an­kömm­lin­ge anka­men und wei­te­re Cages gebaut wer­den mussten.

Lebensbedingungen

Wie in ande­ren Rhein­wie­sen­la­gern leb­ten die Gefan­ge­nen auch in Hei­des­heim in einem Pro­vi­so­ri­um: Das Lager ver­füg­te lan­ge nicht über funk­tio­nie­ren­de Abwas­ser­lei­tun­gen, son­dern nur über ‚Don­ner­bal­ken‘, die über Fäka­li­en­gru­ben gelegt wur­den. Die Gefan­ge­nen muss­ten sich Löcher in die Erde gra­ben, um sich vor dem Wet­ter im reg­ne­ri­schen Mai und spä­ter vor der hei­ßen Son­ne zu schüt­zen, und die Lebens­mit­tel­ver­sor­gung war nicht aus­rei­chend. Ehe­ma­li­ge Kriegs­ge­fan­ge­ne berich­ten, dass sie anfangs einen Laib Brot unter 50 Essern auf­tei­len muss­ten. Durch Chlor gerei­nig­tes Trink­was­ser gab es erst ab Mit­te Mai. Nur lang­sam gelang es, die Nah­rungs­ra­tio­nen auf­zu­sto­cken. Durch den Tausch­han­del mit ame­ri­ka­ni­schen Bewa­chern ver­bes­ser­ten sich eini­ge deut­sche Sol­da­ten ihre Rati­on. Von offi­zi­el­ler ame­ri­ka­ni­scher Sei­te wur­den zwei Bäcke­rei­en im Ort Hei­des­heim beschlag­nahmt. Eini­ge Gefan­ge­ne waren abkom­man­diert und back­ten dort drei Mal am Tag das Brot für die ame­ri­ka­ni­schen Sol­da­ten und die deut­schen Kriegsgefangenen.

Mit der Ver­bes­se­rung der Situa­ti­on im Lager kam auch der Gestal­tung der frei­en Zeit eine grö­ße­re Bedeu­tung zu. Nur weni­ge Gefan­ge­ne wur­den für Arbeits­ein­sät­ze etwa am Flug­ha­fen Mainz-Lay­en­hof oder zu Auf­räum­ar­bei­ten im Dorf ein­ge­setzt; der größ­te Teil von ihnen muss­te sich selbst den Tages­ab­lauf gestal­ten. Wie in vie­len ande­ren Rhein­wie­sen­la­gern auch bil­de­ten sich Chö­re und die Gefan­ge­nen besuch­ten Got­tes­diens­te. In Hei­des­heim ver­an­stal­te­ten die Kriegs­ge­fan­ge­nen Box­kämp­fe mit Wet­ten sowie Dis­kus­si­ons­run­den zu ver­schie­de­nen poli­ti­schen The­men. Die ame­ri­ka­ni­sche Lager­ver­wal­tung orga­ni­sier­te kurz­zei­tig einen Eng­lisch­kurs, der über die Laut­spre­cher im gan­zen Lager aus­ge­strahlt wur­de. Auch wur­de Musik über die Laut­spre­cher abgespielt.

Die Kran­ken wur­den im Lager selbst so weit wie mög­lich behan­delt. Eini­ge beson­ders schwe­re Fäl­le wur­den bis Juni 1945 außer­halb des Lagers in einem Laza­rett in einem alten Hei­des­hei­mer Pfle­ge­heim ver­sorgt. Nach der Schlie­ßung des Lagers in Hei­des­heim wur­de das Lager­la­za­rett nach Diez an der Lahn verlegt.

Nicht alle Gefan­ge­nen konn­ten wie­der geheilt wer­den und so wei­sen ame­ri­ka­ni­sche Quel­len 284 Ver­stor­be­ne und deut­sche Quel­len ca. 400 Tote für das Lager Hei­des­heim nach. Die Gefan­ge­nen star­ben vor allem an Krank­hei­ten wie der Ruhr. Für die Toten des Lagers wur­den die Grä­ber zunächst von Hechts­hei­mer Zivi­lis­ten auf Befehl der ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen aus­ge­ho­ben, spä­ter über­nahm die­se Auf­ga­be sowie die genaue Regis­trie­rung der Toten die 612. Quar­ter­mas­ter Gra­ves Regis­tra­ti­on Com­pa­ny, die auch in Rema­gen und Sin­zig ver­ant­wort­lich war. Die Hei­des­hei­mer Toten wur­den auch auf dem Kriegs­ge­fan­ge­nen­fried­hof in Bad Kreuz­nach, dem soge­nann­ten Gal­gen­berg, bestat­tet. Anfang der 1950er Jah­re wur­den sie von dort auf den Ehren­fried­hof „Loh­rer­wald“ umgebettet.

Für Hei­des­heim ist auch über­lie­fert, dass die ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen zur eige­nen Sicher­heit und aus Angst vor töd­li­chen Aktio­nen der Zivil­be­völ­ke­rung – die von den Natio­nal­so­zia­lis­ten als Wer­wolfak­tio­nen bezeich­net wur­den – auch Jugend­li­che und Alte inhaf­tier­ten. Die­se wur­den teil­wei­se nachts aus den Bet­ten geholt und ver­füg­ten daher nur über die Schlaf­an­zü­ge, die sie bei der Fest­nah­me trugen.

Als im Früh­som­mer die Bau­ern began­nen, die das Lager umge­ben­den Fel­der zu bestel­len, konn­ten die Gefan­ge­nen Kon­takt auf­neh­men. Sie schrie­ben Zet­tel, die sie über den Zaun war­fen und hoff­ten auf die Unter­stüt­zung der loka­len Bevöl­ke­rung. So konn­ten tat­säch­lich Brie­fe an Ver­wand­te der Kriegs­ge­fan­ge­nen zuge­stellt wer­den, die dann nach Hei­des­heim reis­ten, um durch die Zäu­ne mit den Söh­nen oder Ehe­män­nern zu spre­chen oder sie zumin­dest aus der Fer­ne zu sehen. Gene­rell war das Hei­des­hei­mer Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger in der Bevöl­ke­rung bekannt, wobei die Zahl der Inhaf­tier­ten weit über­trie­ben wur­de. Für den 5. Mai 1945 ist über­lie­fert, dass der Ort von Men­schen über­füllt war, die ver­such­ten, Kon­takt zu den Inhaf­tier­ten auf­zu­neh­men. Die Ame­ri­ka­ner stell­ten dar­auf­hin das Ulti­ma­tum, dass der Ort geräumt wer­den müs­se, wenn die Besu­cher nicht bin­nen einer Stun­de den Ort ver­las­sen hät­ten. Der Bür­ger­meis­ter setz­te dies um, damit das Cha­os von Men­schen, Fahr­rä­dern und Fahr­zeu­gen nicht über­hand nahm. Der Bür­ger­meis­ter Georg Lebert ver­teil­te dar­auf­hin auch einen Aus­hang, in dem es nach­drück­lich heißt: „Hei­des­heim darf von Frem­den nicht besucht wer­den“. Die Soli­da­ri­tät mit den deut­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen blieb trotz allem erhal­ten: An vie­len Orten wie etwa Gon­sen­heim kam es von pri­va­ten, poli­ti­schen oder kirch­li­chen Grup­pie­run­gen zu gro­ßen Spen­den­auf­ru­fen für die Inter­nier­ten. Es konn­ten lebens­wich­ti­ge Din­ge wie Decken, Zelt­pla­nen oder Klei­dung an das Lager in Hei­des­heim über­ge­ben wer­den. Aus Gon­sen­heim sol­len täg­lich Spen­den­lie­fe­run­gen ein­ge­trof­fen sein, aller­dings reich­ten die Gaben nicht für alle Gefan­ge­nen. Die Situa­ti­on blieb daher ange­spannt, obgleich eine lang­sa­me Ver­bes­se­rung ein­trat. So kam es auch zu drei über­lie­fer­ten geglück­ten Fluchtversuchen.

Auflösung des Lagers

Das Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger Hei­des­heim bestand bis zu sei­ner Auf­lö­sung am 9. Juni 1945 für sie­ben Wochen. Bereits Anfang Juni 1945 erging der Befehl zur Auf­lö­sung des Lagers durch die ame­ri­ka­ni­sche Ver­wal­tung in Koblenz. Das Lager wur­de nach Ent­las­sun­gen und Ver­le­gun­gen vor allem in die Lager in Bret­zen­heim, Die­ters­heim und Hechts­heim nicht mehr benö­tigt. Die Fel­der wur­den den Bau­ern zurück gege­ben und die geräum­ten Häu­ser an der Gren­ze zum Lager konn­ten von ihren Besit­zern wie­der bezo­gen wer­den. Ledig­lich das ehe­ma­li­ge Pfle­ge­heim in Hei­des­heim, das von den ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen als Lager­la­za­rett aus­ge­baut wor­den war, fand eine Wei­ter­nut­zung: Nach der Über­nah­me von acht der noch exis­tie­ren­den Rhein­wie­sen­la­ger durch die fran­zö­si­sche Armee am 10. Juli 1945 ent­schied die­se, das Pfle­ge­heim zum zen­tra­len Kran­ken­haus für deut­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne zu machen. So wur­den ab dem 24./25. August 1945 in Hei­des­heim – dies­mal unter fran­zö­si­scher statt ame­ri­ka­ni­scher Lei­tung – wie­der Kriegs­ge­fan­ge­ne aus ande­ren Lagern wie Hechts­heim medi­zi­nisch ver­sorgt. Das medi­zi­ni­sche Gerät hat­ten die ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen nach der Auf­lö­sung des Rhein­wie­sen­la­gers in Hei­des­heim nach Diez ver­legt, sodass der Auf­bau des Laza­retts eini­ge Zeit in Anspruch nahm. Das Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­za­rett wur­de schließ­lich zum 1. Juli 1946 aufgelöst.

Erinnerung an das Lager

Das Lager in Hei­des­heim geriet – trotz des gro­ßen loka­len Bekannt­heits­grads wäh­rend sei­ner Exis­tenz – lan­ge in Ver­ges­sen­heit. Der Fried­hof des Lagers wur­de Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jah­re wegen eines geplan­ten Auto­bahn­baus ver­legt und die Toten wur­den ent­we­der in ihre Hei­mat­ge­mein­den oder auf den „Ehren­fried­hof Loh­rer­wald“ bei Bad Kreuz­nach umge­bet­tet. Erst in den 1990er Jah­ren begann eine Auf­ar­bei­tung des The­mas und ein Gedenk­stein wur­de von der Gemein­de 1998 im Bei­sein ehe­ma­li­ger Kriegs­ge­fan­ge­ner am alten Lager­ein­gang gesetzt.

Quelle

Mül­ler, Chris­ti­an: Erzwun­ge­ne, geleb­te, ver­ges­se­ne Nach­bar­schaft!? Die Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger in Hei­des­heim 1945/1946 (Fach­ar­beit Geschich­te). Mainz 2013